Die Zeitschrift Les Révoltes logiques kann laut Kristin Ross als Versuch gesehen werden, das Erbe des Mai 68 zu reflektieren und voranzutreiben. Sie schreibt in ihrem grossartigen Buch May ’68 and its Afterlives (PDF):
Durch die Rückkehr zur Vergangenheit und eine erneute Untersuchung der Sprache, der Erfahrung und Praktiken der Arbeiter war es möglich, die utopischen Aspekte des Mai zu verlängern und die Enttäuschungen des Mai und seiner Nachwehen zu untersuchen und zu bewerten. Eine neue, abtrünnige historische Praxis konnte den Wunsch von 68, den „Sprachlosen“ eine Stimme zu verleihen, die Domäne der Experten in Frage zu stellen, fortsetzen.
Kristin Ross, May ’68 and its Afterlives; 116
Der Titel der Zeitschrift spielt auf das Gedicht Démocratie aus den Illuminations von Rimbaud an. Darin wird die Niederschlagung der Pariser Commune 1871 beschrieben, „die schmerzhaften emotionalen Nachwehen der Unterwerfung der Revolution, die gelebte Erfahrung von sich verschließenden politischen Möglichkeiten, die Demontage oder Verdüsterung utopischer Konzepte der Veränderung“ (Kristin Ross, May ’68 and Its Afterlives; 13-19).
In gewisser Weise waren Les Révoltes logiques auf derselben Wellenlänge wie Lip (Lip war ein Uhrenhersteller in Besançon, der nach seine Pleite 1973 von den Arbeitern bis 1976 in Selbstverwaltung weitergeführt wurde. Am 29. September 1973 versammelten sich in Besançon 100000 Menschen zu einem Unterstützungsmarsch), mit derselben Idee einer Sprechweise, eines Handelns und einer Organisation der Zukunft, die Propaganda oder die aktivistische Aktion von der Aneignung der Produktionsmittel trennt. Der Augenblick Lip war jener der Auflösung der Proletarischen Linken und der Moment, der die Möglichkeit eines Unternehmens wie Les Révoltes logiques unterstützte. Man hatte den Eindruck, endlich diese autonome Arbeitertradition festmachen zu können, die sich in den Arbeiterassoziationen des 19. Jahrhunderts und im revolutionären Syndikalismus entwickelt hatte. Das war so etwas wie der zweite Atem des Linksradikalismus. Dieser neue Atem verband sich in Révoltes logiques mit einer gewissen Figur der feministischen Bewegung. Sie entfaltete damals eine ambivalente Wirkung. Teilweise unterstützte ihr Aufschwung das Thema der Auflösung des Aktivismus – der immer männlich und patriarchal war. Aber zugleich hat sie an einer neurerlichen Mobilisierung in Bezug auf andere Zielsetzungen, andere Parolen teilgehabt. Andere Formen des Kampfes gegen andere Formen der Unterdrückung und der Herrschaft gerieten in den Vordergrund. Les Révoltes logiques waren ein Werkzeug, das diesem Augenblick entsprach.
Jacques Rancière | Die Methoden der Gleichheit
Ein Stachel in der Seite der Sozialgeschichte.
Jacques Rancière und die Zeitschrift Les Révoltes logiques
Micha Suter