PORNO-TEO-KOLOSSAL ((nach Pasolini))

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Die Verweigerung ist schon immer eine essenzielle Geste gewesen. Denk nur an die Heiligen, die Eremiten, aber auch an die Intellektuellen. Die Wenigen, die die Geschichte gemacht haben, das waren diejenigen, die Nein gesagt haben, nicht die Höflinge oder die Diener der Kardinäle.
Pier Paolo Pasolini

 

I.

 

 

5:11 am Nachmittag:
das Gefühl, dass der Geist, das Bewußtsein
wie ein Sprengsatz explodieren /
ich schwöre :: die einfachsten Bewegungen
des Körpers nicht mehr zu kontrollieren sind
und der Blick beginnt sich um sich selbst zu drehen —
Einverständnis ist eine Falle.

 

 

Zeit und Raum ineinander verschachtelt /
Valium Mantrax Triptizol /
der Körper als Ort der Hölle,
seine Neigungen und perversen Traumgespinste,
das Gejammer von dem Marx spricht /
die Angst, dass die Wörter falsch liegen,
die Stockschläge / die Rache-Fresse
— wie funktioniert Gewalt in einem Gedicht?

 

 

Die Zeit, die dem Gehirn entweicht /
während die Schwarmgeistigen
sich in helle Flammen werfen —
die kühnste aller Lüste / ich weiß jetzt,
dass hinter der Maske des linken Faschisten
immer ein rechter Faschist steckt.

 

 

Katerina Gogou dekliniert den Tod Pasolinis
in der letzten Reihe eines Porno Kinos in Egaleo,
während sie nach hinten fällt /
von einer unsichtbaren Hand gezogen
— jede Regierung der Welt hätte Pasolini verschwinden lassen /
der Autopsiebericht vom Vatikan verfaßt,
läßt an das leise Zucken längst abgetrennter Glieder denken,
die Katze, der man das Fell abzieht.

 

 

 

Hölderlin dekliniert das Sterben des Empedokles,
und wirft sich blindlings in das viel größere Feuer
erhabener Verwüstungen :: niemand reicht da heran /
unstet & leidend in seinem letzten Grund ((die DNA des Insults)) /
ein Augenblick wortreich wirren Klagens /
in der Zeit des Übergangs, in der das Alte verschwindet
und allmählich das Neue aufscheint /
die gespeicherte Datenmenge, die Algorithmenströme
— die Phantasiegrenze verschiebt sich gerade.

 

 

Als würde er einen kurzfristigen Impuls,
das Zerspringen der Hirnschale bewohnen /
außerhalb der Komfortzone, der Moment
des Auseinanderfallens seiner Gedanken,
die irreduzible Färbung des Wortes,
—  ich sage das, als liege das Wesen der Poesie
nicht in ihrer Wiederholung.

 

 

In der Zwischenzeit keine hieratischen Diskurse mehr /
du warst ein Dichter der keine Verse mehr schreiben mochte,
aber an den Haaren  geschleift und mit Füßen getreten,
den Kopf zur Abschreckung durch die Stadt getragen.
Geschichte, die in diesen Tagen in Scheisse übergeht /
der braune Schlamm unter den Füßen durchläuft
den Zustand der Verwesung.

 

 

Die meisten der per ganzseitigen Fahndungsaufrufen Gesuchten
werden innerhalb weniger Tage denunziert.
Die Silberklammer, die das Kavernom in deinem Kopf
abklemmt, hat dich verraten.* Das Licht schlägt
täglich auf dich ein,
markiert und stellt dich.
Die Entsagung dieser außergewöhnlichen,
kohlesäurehaltigen Leidenschaften.

 

 

 


 

 

 

Für Pasolini hat Paulus auf revolutionäre Weise ein Gesellschaftsmodell zerstören wollen, das auf sozialer Ungleichheit, Imperialismus und Sklaverei aufgebaut war.
Alain Badiou | Paulus

 

II.

 

 

Zungen sind trotzig, sind messerscharf, sind Vögel singend tief in der Nacht, ein
mutiertes Bakterium / Zeichen, die man vom Wachs hinträgt / und ablehnen zu
erscheinen / sind Nefas, das nicht Auszusprechende und unter ihrem
Angesicht so gelb wie ein toter Mensch.

 

 

 

Oder Ideologien zu Trümmer zerschlagen / Texturen unbewegt oder gefaltet verlebt /
sind Oberflächen ungenauer Wiederholungen / Kurve oder Kombination
:: wie frei fließende Gedanken-Blitze aufscheinen und wieder verlöschen /
Paulus ((in Pasolinis Lesart)) findet bei Marx die Konstruktion der Zukunft,
die rücksichtslose Kritik alles Bestehenden //
die auf dem Asphalt skizzierten Körperumrisse als kapitalistische Attrappe
:: chaotische Bilder auf unserer zum Zerreißen gespannten Netzhaut /
im Wechsel der ((feindlichen)) Lager :: mobile Zellen sind prosodisch.

 

 

 

Es gibt die Reverenz Pasolinis ((eine historische Affinität)) für den schönen Schwanz Majakowskis /
es gibt die auf uns zurasenden Gewissheiten / die grausamen Zeremonien der Lebenden /
Charon der unseren Kopf knapp über Wasser hält / es gibt ein System nicht zu
dechiffrierender mimischer Zeichen / ein Gitter in dem man sich verfängt /
und ein Kapital das ein neues Surplus-Proletariat züchtet
:: währenddessen reden alle von Demokratie, niemand aber von Revolution.

 

 

 

Denn der Hass den man dir entgegenbringt / das Größenverhältnis ästhetischer Fäulnis / ist ein
Rassenhass, ein verbranntes Auge, ist die Stille die sie ausgetauscht haben, ist enthemmte
Imagination, Outrage Porn, das Zellenzirkular mit Namen ‘Moby Dick’ /
Neutralität ((definiere das!)) ist keine Option.

 

 

 

In der Nacht Atemnot & Schweißausbrüche, ein Brennen hinter dem Brustbein :: Nitroglycerin &
Clenbuterol / ich schrecke auf, notiere Traumata und Gedächtnisspuren, weil ich wie
ein eingewachsener Nagel nicht von dir ablasse / aber jeder kennt die Auftraggeber
die Pasolini töten liessen :: die Andreottis, die Berlusconis & Salvinis / Kohärenz
heißt sich Feinde machen, Wirklichkeit um eine Drehung zu verzerren /
als wäre Weissagung nicht ein korrupter Haufen :: das Bild des Polizisten vor Augen,
der auf den Gefangenen uriniert, eine gelbliche Kakerlake an der Wand.

 

 

 


 

 

 

Es genügt nicht die Wirklichkeit zu verhöhnen — sie muss verändert werden.
Sergej Tretjakow

 

III.

 

 

Dies ist eine Skizze über Dante. Über den Dantismus von Peter Weiss und Pasolini. Über den Dantismus von Peter Weiss und Pasolini nach Fredric Jameson. Über den Dante, der aus der Psychiatrie in die Emigration entlassen und in Abwesenheit zum Tode verurteilt worden ist. Über Weiss und Pasolini und ihre obsessive Fixierung auf die Divina Comedia. Über die aufständischen Arbeiter im Jahr 1919/2019. Über den Akt der Selbstauslöschung eines Fabrikbesitzers. Die Befreiung von den Fesseln des Kapitalozän. Über die schwarze Wüstenlandschaft in den letzten Bildern von Teorema. Über das Drama als Poesie der Tat. Über einen Traum außerhalb der Vernunft. Den ätherisch dunklen Horizont und über  das Rot von Pontormo. Inferno heißt der Ort an dem wir leben. Über den Fund François Villons ((Pasolini in der Maske des französischen Vaganten & Bänkelsängers)), der ersten menschlichen Überreste, einer Leiche in Fetzen, das schwärzliche Auge eines Delinquenten in der Nähe einer halb zerfallenen Mauer. Über die beiden Polizisten, die vor dem toten Körper Pasolinis knien. Über ihr widerliches Grinsen und die Genugtuung die ihre Gesichter entstellt. Über die Aussage Maria Teresa Lollobrigidas die als erste den toten Dichter entdeckt: Schau Dir diese Hurensöhne an, die uns ihren Müll vors Haus schmeißen ((Il Messaggero, Montag, 3. November 1975)).

 

 

 

Pasolinis Skizze der geplanten Tragödie Monument, in der der Lenin von 1905/1917 dem Lenin von 1968 während der Kampfpausen in einem angrenzenden Wäldchen ((fôret de symboles)) seine prophetischen Visionen erläutert / im Hintergrund sieht man Stalin, der sich vor dem Lenin-Monument erleichtert. Vom Tod besessen, oder davon ihn abzuwehren ((das heißt das Leben neu auszurichten)) / das stets halluzinierende Auge, das sich selbst nicht erkennt :: so sagt er, habe er vor den Photos, den Fahndungsplakaten der in Abwesenheit zum Tode Verurteilen die Tränen nicht zurückhalten können ((Als Literat, der Literatur macht, erkläre ich meine Solidarität mit Potere Operaio und allen anderen groupuscules der extremen Linken)) / nicht die einfache Überlagerung oder die naheliegenden Formen der Verknüpfung als vielmehr ein gewisser Widerstand gegen einen sich aufdrängenden Sinn oder eine allzu eindimensionale Lesbarkeit :: sein letztes Buch Trasumanar e organizzar bleibt weitgehend unbeachtet von der Kritik / weil er marxistische Gedichte schreibt? weil er der Welt lästig ist? ((wie er glaubt)) und sie es nur noch nicht weiß? / der Titel des Werkes bezieht sich auf eine Stelle in der Divina Comedia ((Paradiso I, 70)) in der von der Notwendigkeit über das bloß Menschliche hinauszugehen die Rede ist :: Trasumanar significa per verba non si poria :: organizzar ((transitives Verb)) bedeutet demnach die Organisation der Überschreitung.

 

 

 

In Patmos ((einem Text aus dem Band Trasumanar e organizzar)) behandelt Pasolini das Bombenattentat auf die Banca dell’Agricoltura  in der Piazza Fontana am 12 Dezember 1969 ((geschrieben ist es in der Nacht vom 13. auf den 14. Dezember nachdem er zusammen mit Michelangelo Antonioni und Alberto Moravia vor dem Fernseher davon erfährt)). Pasolini verwendet eine der Neoavanguardia bekannte Technik der Collage in der er die apokalyptischen Schrecken des Johannes mit einer Liste der Opfer des Anschlags, den perfiden Erklärungen der Politiker engführt :: nach der Art faschistischer Samstage / werden die Toten aufgerufen / und mittels Parenthesen ((Stilmittel nach Juri Tynjanow, Verfasser des Wörterbuch des Polemikers Lenin)) Listen der lebenden Toten erstellt / während man die Personnages von einem Höllenkreis in den nächsten treibt, Pasolini in Salò den Faschismus der Perversion überführt & Dante der von Depressionen heimgesucht verzweifelt sein Wissen über Pharmakologie vervollständigt / Figuren die an ihr logisches ((körperliches)) Ende führen :: Cluster festgelegter Intervalle / Tränengas & Leichenzüge / Quellen schwarz sprudelnden Zorns :: das sind die neuen Peripherien, die Ödnis der Vorstädte / sind Wände aus Glas und Ziffern / Konstellationen der Einöde in einer Flut aus Müll und Lügen. Wie einer, der sein Unglück träumt […] und träumend, es möchte im Traum geschehen.

 

 

 


*1972 wird Ulrike Meinhofs Kopf nach einer Polizeirazzia gegen ihren Willen geröntgt. Auf den Röntgenbildern erkennen die Beamten die Silberklammer und können sie so zweifelsfrei identifizieren.

 

 

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